Falsche Hoffnung: Das wird schon wieder!

Eine kugelförmige, graue Bombe im Cartoon-Stil mit einer brennenden roten Zündschnur, die Rauch und Funken ausstößt, vor einem dunklen Hintergrund.

Falsche Hoffnung: Das wird schon wieder!

Es mag ja gut gemeint sein. Oder es passiert aus Selbstschutz. Aber es kostet echt viel Kraft. Ich erkläre Euch hier, warum manch ein Trost-Versuch oder manchmal auch ein schnödes „Gute Besserung!“ wirklich Scherben hinterlassen kann.

Der Realität ins Auge geblickt

Ich stecke viel Energie hinein, meine Erkrankung und alle damit verbundenen Einschränkungen zu akzeptieren. ME/CFS geht nicht weg, das ist ein unumstößlicher Fakt. Und es gibt keinen Lebensbereich, der nicht von dieser Krankheit beeinflusst wird. Es macht also einfach keinen Sinn davon auszugehen, dass durch irgendein Wunder plötzlich alles wieder gut wird. Besser ist es, sich mit der Situation zu arrangieren, das Beste aus dem Hier und Jetzt zu machen und die zur Verfügung stehende Energie zu investieren, um auch in der Zukunft ein einigermaßen selbstbestimmtes Leben zu führen.

Enttäuschungen vermeiden

Ausnahmslos alles, was die ME/CFS oder ihre Symptome in welcher Form auch immer behandelt, ist experimentell. Es ist nicht gesagt dass eine Therapie, die bei zig anderen Patienten wirkt, auch bei mir einen Erfolg bringt. Und so wird für Betroffene der Weg durch die Krankheit sehr schnell eine Kette von Enttäuschungen. Und die wiederum kosten viel Kraft und lösen irre schnell einen Crash aus. Ich habe mir selbst geschworen diese Enttäuschungen zu vermeiden und jeden Schritt in der Behandlung möglichst rational und nüchtern anzugehen.

Für Außenstehende wahrscheinlich schwer greifbar erfordert diese Herangehensweise jedoch wirklich viel Selbstdisziplin. Wenn Du bei jedem Schritt den Du gehst daran erinnert wirst, was nicht mehr geht, brauchst Du ein sehr stabiles Ego, um nicht in Selbstmitleid zu verfallen. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut. Und wenn es weniger gut gelingt, verschlechtert das ad hoc auch meinen Gesamtzustand. Nicht etwa, weil ME/CFS irgendwie psychosomatisch wäre, sondern weil emotionale Reaktionen echte Energiefresser sind und mir das Pacing zerschießen. Und dann ist sehr schnell nicht mehr genug Saft auf dem Energiekonto, um Notwendiges tun zu können.

Fiese Trigger

„Das wird schon wieder“ ist dann ein echt übler Trigger. Möglicherweise bin ich da auch übersensibel, aber ich bin eben ich. Dieser kurze, gut gemeinte Satz ist nicht nur eine glatte Lüge, sondern er stellt quasi ein Drittel meiner täglichen Arbeit infrage. Und er kitzelt diesen kleinen letzten Hoffnungsfunken im Unterbewusstsein, der dann – je nach emotionaler Tagesform – sehr schnell zum Flächenbrand wird. Jedes verdammte Mal.

Und weil ich in meiner Diagnose-Geschichte leider über zwei Jahre immer wieder mit dem „Wir warten mal ab, ob es von alleine besser wird“ konfrontiert war, triggert dieser Satz auch den Wut-Schalter. Er reflektiert – sehr wahrscheinlich ohne Absicht – die damalige Einstellung der Ärzte, dass das was ich all die Zeit über als massiv bedrohlich empfunden habe nur eine Kleinigkeit sei, die sich von allein erledigt.

Schutzbehauptung oder Unwissenheit?

Oft genug ist das „Das wird schon wieder“ aber auch eine Floskel, um ein Gespräch über die wirklichen Auswirkungen von ME/CFS schnell zu einem einigermaßen sozialverträglichen Ende zu bringen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Realität würde ja bedeuten, dass man sich mit der Gefühlswelt und den Problemen seines Gegenübers wirklich intensiv auseinandersetzen müsste. Und weil man am Ende eh vermeintlich nicht helfen kann, erspart man sich so das eigene Gefühl der Ausweglosigkeit und Hilflosigkeit. Ich meine das an dieser Stelle nicht böse, so ist Mensch halt. Aber: ich erlebe das – je nachdem, wie ich selber gerade drauf bin – oft genug als Ohrfeige mit unterschwelligem „Lass mich mit Deinem Scheiss in Ruhe“. Mir ist bewusst, dass ich damit oft falsch liege. Oft genug liege ich aber auch richtig.

Übersensibel? Vielleicht.

Wer jetzt meint ich würde überreagieren, der hat möglicherweise Recht. Nur kann ich da nicht aus meiner Haut und ich bitte das zu akzeptieren. Mit ME/CFS hast Du nicht nur ganz konkrete körperliche Einschränkungen, Du tanzt auch immer am Abgrund: nicht zu verzweifeln, nicht durchzudrehen oder depressiv zu werden gehört einfach ganz fest zum Überlebenskonzept. Nur mangels Energie ist „die Firewall“ nach außen extrem dünn – gerade eben so, dass sie überhaupt funktioniert.

Wer wirklich dafür sorgen möchte „dass es wieder wird“, der kann mir gern helfen das Heute und das Morgen zu bewältigen indem er verhindert, dass ich irgendwann verschwinde. Das tun ME/CFS-Patienten nämlich mit der Zeit. Zum Einen, weil sie nicht mehr raus können, zum anderen aber auch, weil sie zwecks Schutz ihrer Firewall nicht mehr raus möchten. Den Kontakt aufrecht halten und mich als Patienten und als Mensch ernst zu nehmen ist deutlich wertvoller als irgendwelche realitätsfernen Floskeln.

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