Dass es kein Zuckerschlecken werden wird Leistungen aus dem Sozialsystem zu bekommen, das war mir klar. Mit der Diagnose ME/CFS (wenn man sie den überhaupt einmal bekommt) ist man anscheinend immer noch überall eher der Psycho als der Patient. Und oft genug entsteht dann auch der Eindruck, dass man selbst dann auch nur der „Psycho 2. Klasse“ ist, der eine ohnehin ja nur erfundene Krankheit dreist simuliert. Aber das nur als Einleitung in den Wahnsinn. Fangen wir mal beim Grad der Behinderung an:
Das Versorgungsamt
Anfang Januar 2025 raffte ich mich auf, um einen Erstantrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung beim rheinland-pfälzischen Versorgungsamt zu stellen. Behördentypisch war das Formular für den Online-Antrag ziemlich gut versteckt und dann auch nicht so wirklich „interaktiv“, aber was soll’s. Musste durch.
Im Formular gibt es wenig Raum für Freitext, dafür umso mehr Raum für Arzt-Adressen. Alles brav ausgefüllt und abgeschickt, dann hieß es warten. Meine behandelnde Ärztin schickt maximal ausführlich alle Berichte ans Amt. Und es vergingen Monate ohne jede weitere Aktivität.
Anfang Juli dann wagte ich es, einmal nach dem Bearbeitungsstand zu fragen. Telefonisch habe ich nach einer Woche aufgegeben, es geht einfach niemand ran. Auf meine Anfrage per Mail folgte dann binnen zweier Tage die Antwort per Brief. Ein Bescheid flatterte ins Haus.
Und der war zugleich enttäuschend, frustrierend und demütigend. 20% aufgrund einer psychischen Störung. Nun, erstens ist ME/CFS keine psychische Krankheit, und in der ganzen Reihe von ansonsten „organischen“ Diagnosen steht an allerletzter Stelle eine „psychische Störung aufgrund andernorts klassifizierter schwerer oder unheilbarer Erkrankung“. Alles andere wurde offenbar ignoriert. Zweitens geht es beim Grad der Behinderung nicht um Diagnosen, sondern um tatsächliche Einschränkungen. Auf die wurde nicht eingegangen, sie sind im Arztbericht nachlesbar. Und ich selbst wurde nie danach gefragt – nicht im Antragsformular selbst und auch nicht in der Zwischenzeit.
Die 20% sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Und wenn man den zeitlichen Ablauf betrachtet entsteht der Eindruck, dass auf meine Nachfrage hin der Vorgang einfach nur mit einem Schwachsinns-Bescheid vom Tisch geschafft wurde. Das lässt mir jetzt keine Wahl, als in das Widerspruchsverfahren zu gehen. Das verursacht wieder einmal Stress und Arbeit, und nicht zuletzt auch wieder Kosten für alle Beteiligten. Einschließlich des Staates.
Die Rentenversicherung
Die Deutsche Rentenversicherung kann man nicht allein betrachten, sondern man muss im gesamten Prozess die Krankenkasse mit ins Boot nehmen. Eben die hat mich im Frühjahr dazu aufgefordert, eine Reha-Maßnahme bei der Deutschen Rentenversicherung zu beantragen. Auf das Aufforderungsschreiben folgte ein Anruf in dem man mir mitteilte, dass ich ohne die Reha meiner Mitwirkungspflicht nicht nachkäme und dann kein weiteres Krankengeld gezahlt würde. Der Tonfall war recht energisch, was entscheidend dazu beitrug dass ich das Ganze falsch verstand: ich muss die Reha nicht wirklich machen um die Krankenkasse zufrieden zu stellen. Der Antrag reicht aus.
Ich stellte den Antrag bei der DRV, wieder einmal online. Parallel informierte ich meine Ärztin, dass ich entsprechende Befunde benötige. Dafür braucht sie Zeit. Und um die Fristen zu wahren schickte ich den Online-Antrag ab und setzte einen Haken an entsprechender Stelle, um der DRV mitzuteilen, dass die Befunde folgen. Nicht ganz eine Woche später bekam ich Post. Der Reha-Antrag wurde abgelehnt.
Aufreger Nummer Eins war die Begründung: es seien noch nicht alle ambulanten Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft, ich solle Psychotherapie machen und nochmal zum Neurologen gehen. Witzig. Zu dem Zeitpunkt suchte ich zwecks Begleitung bereits seit 8 Monaten nach einem Psychotherapeuten für ein Erstgespräch. Ohne Erfolg. Und neurologisch war eigentlich auch alles bereits abgeklärt. Weil ich aufgrund des eben genannten Missverständnisses Angst hatte, dass mein Krankengeld ohne Reha gestrichen wird, nahm ich Kontakt mit dem VdK auf und legte mit deren Hilfe Widerspruch ein.
Es folgte Aufreger Nummer 2: Die Ablehnung wurde erteilt, noch bevor die ärztlichen Befunde bei der Rentenversicherung eingegangen sind. Berücksichtigt wurde nur ein über 6 Monate altes Erstgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse, und das wurde einzig anhand der (damals noch sehr dünnen) Aktenlage erstellt. Unfassbar unprofessionell.
Nun aber klärte der VdK mich über mein Missverständnis auf, und aufgrund meines mittlerweile deutlich schlechteren Zustandes entschied ich nach Rücksprache mit meiner Ärztin, dass die Reha ohnehin aktuell mehr schadet als nutzt und wir den Widerspruch zurückziehen. Gesagt, getan.
Es folgte der Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Und kaum war der abgeschickt, trudelte eine Aufforderung zur Begutachtung bei einem – tadaa! – Psychiater per Post ins Haus. Erst bei sehr genauem Hinsehen stellte ich fest, dass dieses Schreiben nicht von der Abteilung für die Erwerbsminderungsrente kam, sondern aus der Abteilung „Prävention und Rehabilitation“. Dort hat man zwar registriert, dass ich die Ablehnung des Rehaantrages akzeptiere, es aber nicht weiter bearbeitet. Und so nahmen dann die Dinge ihren Lauf.
Der Gutachter
Es folgte ein Anruf der Gutachter-Praxis zwecks Terminvereinbarung. Auf dem Handy, während im im Wartezimmer der Physiotherapie saß. Ich schilderte das Durcheinander und wollte erst mit der Rentenversicherung sprechen, ob denn nun das Gutachten (welches ja für die Reha ist, die von der DRV selbst abgelehnt wurde) machen soll oder nicht. Wir einigten uns darauf, dass ich mich in genau einer Woche melden werde.
Nach viel Hin und Her bei der DRV, die selber nicht so recht wusste was denn da los ist, bekam ich die Rückmeldung, ich solle das Gutachten machen lassen, damit das dann für den laufenden Rentenantrag verwendet werden kann und wir nicht weiter Zeit verlieren. Und nun scheiterte über eine Woche lang jeder Versuch der Kontaktaufnahme mit dem Gutachter…
Zwei Wochen lang gab es über Tag keine Chance, zur Ruhe zu kommen. Es könnte ja sein, dass genau in dem Moment, in dem ich möglicherweise einnicke, dann das Telefon klingelt. Mitten in einem Crash aus der Hölle war dieser Erholungsentzug maximal kontraproduktiv. Nach etwas mehr als einer Woche kam dann endlich der ersehnte Rückruf und es wurde ein Termin am Samstag in der gleichen Woche vereinbart. Aufs Neue begann der Telefon-Warte-Terror, diesmal mit der DRV. Denn die wollten diesbezüglich eine Rückmeldung von mir.
Ist das alles Methode?
Der ganze Irrsin ist schon für stabile und einigermaßen Gesunde Menschen kaum durchzustehen. Und die stellen selten solche Anträge. Für einen ME-Patienten wird das schnell zur kleinen Hölle, denn schon das Ausfüllen eines Formulares ist je nach aktuellem Zustand ein Kraftakt, und nicht selten führt sowas in einen tagelangen Crash. Weil obendrein für alles auch noch Fristen gelten, wird das zum existentiellen Total-Stress.
Wenn ich mal ganz vorsichtig den Tonfall in Telefonaten – vor allem mit der Krankenkasse, denn die Rente ist wenigstens freundlich – erinnere, dann schwingt in diesem ganzen Prozess eigentlich immer die Aussage „geh endlich wieder arbeiten, du faules Stück“ mit. Und die Vorgänge scheinen auf die Hoffnung aufgebaut, das Antragssteller vor dem Ende einfach aufgeben. Der Formularberg für den Rentenantrag ist ein zig Seiten starker Berg aus Fragen, die für das Gros der Antragssteller entweder nicht zutreffen oder aber ohnehin über den Arztbericht geklärt werden, und Rückfragen kommen nicht etwa gebündelt, sondern Häppchenweise und per Post. Die Online-Formulare sind meist nicht mehr als klickbare Versionen des Papierdokumentes mit teils unverständlichen Erläuterungen und sehr oft mit fehlender oder fehlerhafter Funktion zum Zwischenspeichern. Kurz gesagt: ein Albtraum.
Und nun sind wir mal gespannt, wie die Sache weitergeht.