Bereits beim Antrags-Chaos hatte ich geschrieben, dass auf Veranlassung der Deutschen Rentenversicherung ein Reha-Gutachen beauftragt wurde, obwohl ein Rentenantrag vorliegt. Heute war es dann soweit, überraschenderweise an einem Samstag und erfreulicherweise nur 3 Orte weiter.
Gleich vorneweg: der Gutachter war natürlich in erster Linie Psychiater und erst im Nachgang Neurologe. Ganz ursprünglich beantragt und abgelehnt wurde zwar eine zum Krankheitsbild passende neurologische Rehabilitation, aber das sieht die Rentenversicherung auch in ihren Leitlinien anders. Entgegen aller Änderungs-Zusagen seitens der Politik und entgegen aller wissenschaftlicher Erkenntnisse werden dort Post-Covid und ME/CFS noch immer als psychische Störungen klassifiziert. Das ist an sich schon skandalös, aber da müssen wir Betroffenen zum jetzigen Stand immer noch durch. Stand 2025 scheint Psychologisierung von nicht sichtbaren Krankheiten immer noch der deutsche Standard zu sein.
Entsprechend war auch der weitaus größte Teil des Gespräches geprägt von psychiatrisch gefärbten Fragen, vor allem zu meiner Biographie mit einem deutlichen Schwerpunkt in der frühen Kindheit. Zu meinen heutigen Beschwerden kam ich überhaupt nicht zu Wort, die wurden kurz aus meinem Selbsteinschätzungs- und Anamnesebogen zitiert und ich konnte leider nur Abnicken. Wollte ich hier erläutern, wurde ich schnell abgewürgt. Insgesamt ging es von 30 Minuten psychiatrischen Gesprächs maximal 25 Minuten um das Heute. Nun hat er zwar alle Symptome, Beschwerden und Einschränkungen von mir ausführlich schriftlich vorliegen und wird das hoffentlich berücksichtigen, trotzdem hinterlässt der Ablauf Fragezeichen.
Es folgten 10 Minuten neurologische Untersuchung, und da ist am Ende mehr untersucht worden als an allen Arztbesuchen vor meiner Diagnose vergangenen Oktober zusammengenommen. In zehn Minuten. Auch hier wurde allerdings nicht nach Beschwerden gefragt und gezielt darauf geschaut, sondern nur das neurologische Standardprogramm gefahren.
Inwieweit das nun alles im Hinblick auf eine Begutachtung seine Richtigkeit hat, kann und möchte ich nicht beurteilen. Dazu fehlt mir schlicht das nötige Wissen über Vorgaben und Abläufe. Trotzdem gehe ich zutiefst beunruhigt aus dem Gespräch, denn seine Empfehlung hat er klar formuliert: ich soll eine Reha machen. Und seine Klinik-Empfehlungen waren rein psychosomatisch, obwohl wirklich alle vorliegenden Befunde eine andere Sprache sprechen. Er hat lediglich seinen Auftrag ein Reha-Gutachten umzusetzen abgearbeitet und ist auf meinen Hinweis, dass es eigentlich um die Erwerbsminderungsrente geht und ein Fehler bei der Deutschen Rentversicherung passiert ist, überhaupt nicht eingegangen.
Ich war auch froh, dass mein Mann mit dabei sein durfte. Da ich nur selten ausreden durfte, habe ich das gesamte Gespräch über ständig den Faden verloren und habe so zumindest jemanden, der Details erinnern kann. Leider wurden Rückfragen meinerseits nur selten beantwortet, es ging immer sehr fix zum nächsten Punkt über.
Fakt ist immer noch: eine auf meine Erkrankung ausgerichtete Reha würde ich gern machen, denn möglicherweise bringt sie ja doch was. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist da einfach kein Denken dran. Bis auf ganz wenige Ausreisser-Tage sind derzeit 3 Stunden nicht-liegend pro Tag das Maximum, und auf die Ausreisser folgt seit Wochen immer ein Crash, in dem über mehrere Tage hinweg selbst die 3 Stunden nicht mehr sind als ein trüber Wunschtraum. Und nun habe ich ziemliche Angst davor, statt einer schnellen Bearbeitung des Rentenantrages wieder einmal zwischen die Mühlsteine der Bürokratie zu geraten und zur Reha verdonnert zu werden.
Im Dezember sind die drei Jahre voll. Drei Jahre, in denen ich mich nicht einen einzigen Tag mal um meine Genesung hätte kümmern können. Drei Jahre ohne eine Chance, wenigstens eine mittelfristige Perspektive zu entwickeln, und drei Jahre voller Sorge, dass jede Existenzgrundlage wegbricht. Die ganze Zeit über ging es fast täglich um Rechtfertigung und Beweise für meine Krankheit, um Anträge, Widersprüche, Nachfragen und vor allem um Unsicherheit.
Mit der Erwerbsminderungsrente hatte ich mir erhofft, diesen wirklich kräftezehrenden Zyklus zumindest auf Zeit zu durchbrechen, mich um „alltagstauglichen Umgang“ mit ME zu kümmern und mir im Zuge dessen vielleicht auch Möglichkeiten zu suchen, in irgendeiner Form und sehr reduziert wieder am normalen Berufsleben teilzunehmen. Der Tag heute nimmt mir da ehrlicherweise erst mal den eigentlich optimistischen Wind aus den Segeln.
Aber warten wir mal ab, was am Ende drinsteht.