Heute veröffentlichte die Rhein-Zeitung erneut einen Beitrag zu meinen Erfahrungen mit ME/CFS – diesmal zur Entscheidung „Pro Rollstuhl“. Ich werde aus verschiedenen Ecken immer wieder mal als „mediengeil“ gestempelt, doch hat das damit wenig zu tun.
Für mehr Awareness
ME/CFS ist immer noch maximal unbekannt. Und das nicht nur in der Allgemeinheit, sondern eben auch bei Ärzten und Behörden. Solange wir noch „moderat“ betroffen sind und hin und wieder vor die Tür kommen, sieht man uns die Erkrankung nicht an. Und wird es schlimmer, sieht man uns überhaupt nicht mehr. Das führt nicht gerade zu mehr Bekanntheit von ME/CFS, und das obwohl die Betroffenenzahl mit der von anderen schweren Erkrankungen mindestens vergleichbar, wenn nicht sogar höher ist. Ohne den ein oder anderen „Medien-Pieks“ wird sich daran nichts ändern.
Leider ist auch die Politik ganz groß im Ignorieren von ME/CFS, denn würde sie sich mehr damit auseinandersetzen, würde es sehr schnell sehr teuer werden. Gemeinsam mit unseren Patientenorganisationen kämpfen wir zwar schon seit Jahrzehnten um bessere Versorgung und für mehr Forschung, doch solange wir nicht auch öffentlich wahrgenommen werden bringt das nur mäßigen Erfolg – wenn überhaupt. Wir haben keine Lobby, und deshalb sind wir auf die Unterstützung der Allgemeinheit angewiesen, wenn wir irgendwann einmal auch politisch gesehen werden wollen. Hier hilft nur eines: Aufklärung.
Ganz wichtig ist, dass ME/CFS Gesichter bekommt. Die Krankheit ist für Außenstehende abstrakt und kontra-intuitiv: sie hat für die allermeisten Menschen so absolut gar nichts mit dem eigenen Krankheitserleben zu tun.. Und für Nicht-Betroffene ist sie oft etwas Exotisches, das nur „andere“ bekommen oder das – schlimmstenfalls – als Mode-Erscheinung abgetan wird. Dieses Missverständnis ist nur aufzuklären wenn klar wird, dass es auch „echte Menschen“ treffen kann, ganz normale Leute aus der Nachbarschaft eben.
Warum „ausgerechnet“ ich das mache
Die Frage kommt auch immer wieder: „Warum musst denn Du dich in der Zeitung ablichten lassen – hast Du nichts Besseres zu tun?“ Nun, viele Betroffene können sich nicht mehr für ein Interview hergeben, sie sind einfach zu krank und würden es schlicht nicht packen. Ich habe noch gerade genug Kapazität, um meine Story erzählen zu können. Und die Betonung liegt hier auf „noch“. Ich halte es für wichtig zu zeigen, dass ME/CFS eine Dynamik hat: alle heute schwer Betroffenen haben mal „klein angefangen“. Die wenigsten waren von heute auf morgen bettlägerig, bei den meisten ging es mit vergleichsweise kleinen Einschränkungen los. Und in vielen Fällen hätte mit ein bisschen mehr Ahnung auf allen Seiten und ein klein wenig mehr Unterstützung das Fortschreiten der Erkrankung zumindest verlangsamt werden können.
Mit den kleinen Einblicken in meinen Alltags-Wahnsinn, die die Rhein-Zeitung hier veröffentlicht, kann ich zeigen dass das Drama eben nicht erst im Pflegebett beginnt. Mir selber hilft das Ganze im Alltag reichlich wenig, bestenfalls muss ich mich da draußen ein kleines bisschen seltener erklären. Aber es kann in Summe dazu beitragen, dass Leser dieser Artikel vielleicht ein bisschen weniger voreingenommen mit Betroffenen umgehen, ein bisschen weniger diskriminieren und vielleicht auch der ein oder andere Mediziner oder Politiker seine Sicht auf ME/CFS überdenkt.
Mir wird auch gern unterstellt, dass ich damit schleichend für KingBEAR werbe. Das wäre schön, denn mein Job-Einkommen fehlt nun schon seit einem Jahr und KingBEAR ist zum reinen Medikamenten- und Hilfsmittel-Finanzier verkommen. Tatsächlich ist es aber eher andersrum: ich nutze die Reichweite meiner Manufaktur, um Infos zu ME/CFS zu verbreiten. Ein Umsatz-Plus ist dadurch bisher nicht entstanden und mit Blick auf das B2B-Geschäft ist ein „Angeschlagensein“ tatsächlich sogar eher schädlich.
Nutzt das wirklich was?
Letztlich ist der Erfolg hier schwer messbar, ich kann da nur das „Bauchgefühl“ sprechen lassen. Tatsächlich merke ich in Gesprächen auf der Straße, dass die Leute die Berichte lesen und allmählich anfangen zu verstehen, dass es ME/CFS wirklich gibt. Das Infragestellen der Krankheit wird ganz langsam weniger. Und in den Gesprächen merkt man auch, dass es einen Unterschied macht ob die Information gedruckt in einer Zeitung steht oder einfach nur von mir als Betroffenem erzählt wird.
Werde ich auf offener Straße gefragt was los ist, endet das Interesse in aller Regel nachdem der Begriff „ME/CFS“ gefallen ist: „Achso, MS. Das hat ne Bekannte auch“. Im direkten Kontakt mit einem Kranken scheint die Auseinandersetzung mit der Krankheit so unangenehm zu sein, dass schnell Ausflüchte gesucht werden um das Thema zu wechseln. Zuzugeben, dass man noch nie etwas von ME/CFS gehört hat, wo doch jetzt ein „Opfer“ direkt vor einem steht, scheint schwer zu sein. Auch die Schwere der Krankheit anzuerkennen gelingt ohne weitere Information nur den Wenigsten, lieber wird relativiert, abgewiegelt oder durch Whataboutismen abgelenkt. Das Bisschen Info aus der Zeitung hilft definitiv, diese Barriere zu verkleinern und Interesse zu wecken. So macht es zumindest mir das Leben etwas leichter und ich hoffe, dass es auch anderen Betroffenen etwas Erleichterung bringt.
Am Ende ist es das Prinzip „Steter Tropfen höhlt den Stein“. Jedes Fünkchen medialer Aufmerksamkeit trägt dazu bei, dass der ein oder andere ins Nachdenken kommt. Es hilft, den Druck auf die Politik zu erhöhen und nimmt uns Betroffenen ein Stückweit die Last des ständigen Erklärens. Und es zeigt anderen Betroffenen, dass sie nicht allein sind. Mangels einer finanziell starken Lobby müssen wir Betroffenen uns selber bemerkbar machen, solange es uns möglich ist. Und ich bin Birgit Pielen und der Rhein-Zeitung sehr dankbar, dass sie uns eine Plattform dafür bieten.