Eine Frau mit blonden Haaren und einem Blazer spricht in einem gut beleuchteten Raum. Der eingeblendete Text auf Deutsch lautet: "Was passiert gerade bezüglich ME/CFS?" Ein verschwommener Kommentar ist ebenfalls auf dem Bild zu sehen.

Was macht die Politik?

Da ja nie sicher ist, wie lange so eine Videobotschaft aus dem Ministerium abrufbar ist (das letzte Video ist nach sehr vielen kritischen Kommentaren irgendwie verschwunden), habe ich den Teil zu ME/CFS hier nochmals gesichert.

Das Bundesministerium für Gesundheit hat mal wieder ein Video rausgehauen um zu erklären, was eigentlich gerade in Sachen ME/CFS unternommen wird. Hier das Transkript des Teils zu ME/CFS:

Weiterhin ein viel diskutiertes Thema ist ME/CFS. Dani fragt z.B.: „Was passiert gerade bezüglich MECFS? Außer einem Video mit Gerede habe ich bisher nichts konkretes gehört“ oder Nils, der sagt „wann wird endlich mehr für die Forschung bezüglich MECFS, Long Covid und Post-VAC getan. Hunderttausende Menschen warten, dass endlich gehandelt wird.“

Wir haben viele Zuschriften dieser Art erhalten und wir handeln tatsächlich auch. Wir haben zwei Förderschwerpunkte: Zum einen betrifft es die Erkrankung von Kindern und Jugendlichen und zum anderen betrifft es die Versorgung von Betroffenen aller Altersklassen. Dabei geht’s darum, Innovationen auszuprobieren, neue Behandlungsmethoden, neue Medikamente zuzulassen und vor allem auch Ambulanzen aufzubauen, damit die Menschen vor Ort gut versorgt sind. Aber natürlich, das gehört auch zur Ehrlichkeit dazu, Forschung überhaupt und auch auf diesem Gebiet dauert natürlich und braucht Zeit.

Nehmen wir das mal auseinander (und das ist jetzt meine persönliche Sicht auf die Dinge):

Ja, die Regierung gibt Geld für Forschung aus. Das ist prima und überfällig. Aber mal ehrlich: sind die Schwerpunkte zum jetzigen Zeitpunkt richtig gesetzt?

Kinder und Jugendliche mit ME/CFS sind wirklich mies dran, und deren Erkrankung ist für betroffene Familien wirklich dramatisch. Es fällt mir unglaublich schwer, das hier zu schreiben ohne in einen moralischen Konflikt zu kommen, aber ist es wirklich ein guter Zeitpunkt, sich auf Sub-Gruppen zu stürzen während es an allgemeiner Grundlagenforschung mangelt? Das Budget ist mit 15 Millionen Euro sehr begrenzt, bis heute ist noch nicht mal eine Krankheitsursache identifiziert, aber wir investieren in die Forschung zu einer Minderheit in einer Minderheit. Wäre es nicht sinnvoller, in allgemeine Grundlagenforschung zu investieren, von der dann auch Kinder und Jugendliche profitieren?

Während ich das schreibe fällt mir auf wie groß meine Hemmungen sind, ausgerechnet Investitionen für Kinder in Frage zu stellen. Und da drängt sich ein ganz klein wenig der Verdacht auf, dass genau das auch politisches Kalkül sein könnte. Ein verglichen mit dem gesellschaftlichen Schaden viel zu kleines Budget wird an eine moralische Nebelkerze geknüpft, damit es ja keiner wagt den Sinn des Ganzen in Frage zu stellen. Und gleichzeitig bekommt ein durchaus kritisch zu betrachtendes Forschungsbudget durch Kinder und Jugendliche eine unfassbar starke positive Konnotation und verbessert das Image. Eine elegante und gleichzeitig sehr schmutzige Lösung um sich unangreifbar zu machen. Leider ist dann am Ende niemandem so wirklich geholfen.

Dann kommt die Versorgung aller Altersklassen. Wenn ausgerechnet die CDU von Innovationen spricht, muss ich unweigerlich zuerst an Flugtaxis denken. Mein Vertrauen in die Innovationsfähigkeit der Christdemokraten ist eher mäßig, aber bleiben wir mal beim Frau Warkens Aussagen: Die internationalen und nationalen Fachleute verfolgen bereits einige innovative Ansätze. Blöd ist, dass wir Betroffene dieses „Ausprobieren“ immer noch aus eigener Tasche finanzieren müssen. Damit entsteht nicht nur das Problem, dass die Versorgung direkt mit dem Geldbeutel zusammenhängt, sondern mögliche Ergebnisse dieses Rumprobierens werden mit den Statistik-Instrumenten der Gesundheitsbehörden gar nicht erst erfasst.

Alles, was wir Betroffenen so testen, läuft unter dem Radar in einer auch für Ärzte häufig sehr dunkelgrauen Grauzone. Einen großen Batzen der Probleme hätte man schon längst lösen können, wenn zumindest die Liste mit bereits etablierten Off-Label-Medikamenten endlich einmal in der Praxis umgesetzt werden würde. Seit Ende 2023 berät man in der Expertengruppe Themen, die in unseren Nachbarländern bereits umgesetzt sind, und wir alle warten auf eine Freigabe der Medikamente, damit sie endlich für uns alle zur Verfügung stehen und Verordnung und Finanzierung nicht mehr nur reines Glücksspiel sind.

Und dann das Thema Ambulanzen: solange die Mehrheit der niedergelassenen Ärzte ME/CFS nicht kennt oder sogar aktiv dessen Existenz leugnet, helfen uns Ambulanzen nicht weiter. Die bereits existierenden Einrichtungen (so sie denn nicht mittlerweile mangels Rentabilität wieder geschlossen sind) nehmen Patienten nur nach Überweisung auf, machen die Diagnostik und verweisen dann für die weitere Behandlung zurück an den Hausarzt. Wenn der den Bedarf nicht erkennt, bekommt man als Patient auch kein Ticket für die Ambulanz. Und selbst wenn man das bekommt, steht man nach der Diagnose wieder alleine da. Das ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Und das wird sich auch mit noch mehr Ambulanzen nicht ändern.

Nächstes Problem: was nutzt mir die Diagnose einer Fachambulanz, wenn die Kostenträger im Sozialsystem diese einfach ignorieren und ME/CFS weiter als psychische Erkrankung klassifizieren? Meine eigene Erfahrung zeigt ja: qualifizierte Facharztbefunde werden von der Rentenversicherung oder dem Versorgungsamt einfach ignoriert und durch sinnfreie psychiatrische Gutachen ersetzt. Da kann ich mir den Weg in die Ambulanz auch sparen.

Wenn Frau Warken wirklich möchte, dass die Menschen vor Ort gut versorgt sind, dann sollte umgehend in umfassende Aufklärung zu ME/CFS investiert werden. Medizinisches Personal im Gesundheits- und Sozialsystem muss verpflichtend über die Erkrankung informiert werden, und Falschaussagen wie die der Deutschen Gesellschaft für Neurologie müssen durch das Ministerium ausgeräumt werden. Stattdessen überlässt die Politik sämtliche Aufklärungsarbeit vor Ort den Betroffenen selbst. Die Tatsache, dass es bis heute noch nicht einmal für einen allgemeinen Aufklärungs-Flyer oder Ähnliches gereicht hat, ist ein absolutes Armutszeugnis und aus meiner Sicht ein weiteres Symptom des totalen Versagens.

Für mich zeigt das Video erneut, dass Frau Warken immer noch nicht verstanden hat was in Sachen ME/CFS in der Realität gerade los ist. Egal wen ich frage, alle Betroffenen sind der Meinung dass die versprochenen Maßnahmen größtenteils am Bedarf vorbeigehen und die Budgets zudem viel zu klein sind. 15 Millionen Euro sind bei rund 600.000 Betroffenen (Long Covid und ME/CFS) praktisch nichts, selbst wenn ich das auf die statistisch einigermaßen gesicherten 250.000 ME/CFS-Patienten herunter breche, dann sind das sagenhafte 60€ pro Patient im Jahr. Die monatlichen Kosten für Medikamente sind mindestens 3mal so hoch.

Und auch wenn das nach Verschwörungstheorie klingt, denke ich, dass hier das Problem liegt: würde man ernsthaft daran arbeiten, uns zu helfen, dann würden mit einem Schlag all die Kosten, die wir bisher aus eigener Tasche tragen, aus dem Topf der Sozialversicherungen bezahlt werden müssen. Und das Ganze nach jetzigem Forschungsstand auf Lebenszeit. Welcher Politiker hat denn wirklich ein Interesse daran, dass seine Entscheidung oder sein Engagement Töpfe leert, die ohnehin schon leer sind? Und wenn man nur lange genug wartet, dann verschwinden die Betroffenen ja von selbst und das Problem ist – zumindest vorerst – vom Tisch. Würde Frau Warken heute Geld in die Hand nehmen, um unsere Versorgungslage jetzt zu verbessern, dann bliebe am Ende ihrer Amtszeit nichts als ein großes Finanzloch. Und eine Investition in echte und zielführende Forschung würde sich erst in 2 oder 3 Legislaturperioden auszahlen. So eine richtige Motivation zum Handeln ist das nicht gerade. Also werden lediglich symbolhaft Maßnahmen ergriffen, um die Leute mundtot zu mache, und die Allerschwächsten (hier die Kinder) werden zu diesem Zweck vor den moralischen Karren gespannt. So gewinnt man Zeit und hält sich Kritiker vom Hals, aber so gibt man Betroffenen kein würdevolles Leben zurück.

Anscheinend ist der Bundesregierung immer noch nicht klar, wie groß das Problem und der gesellschaftlich-wirtschaftliche Schaden tatsächlich ist, obwohl es dazu Studien gäbe. Allein die Höhe des Forschungsbudgets ist ein Witz: 15 Millionen Euro werden als Meilenstein gefeiert, während ein Ministerium weiter 125 Millionen für die Förderung der Computerspiele-Branche versprochen werden.

Und nun?

Bestünde ein ernsthaftes Interesse an uns Betroffenen, würde die Politik sich um abgestufte Prioritäten kümmern. Ein würdevoller Umgang mit Patienten würde dann an erster Stelle stehen, gefolgt von langfristigen Maßnahmen wie Forschung und infrastrukturellen Änderungen. Es würden Maßnahmen ergriffen, die unsere immer anhaltende Demütigung und schadhafte Behandlungen sofort beenden, damit wir auch eine Chance haben, von zukünftigen Forschungsergebnissen zu profitieren.

Stattdessen zeigt diese Videobotschaft einmal mehr, dass unsere Würde keine Rolle spielt. Wir bekommen keine Hilfe, wir werden lediglich (wenn überhaupt) in ein neues, sehr vage formuliertes und realitätsfremdes bürokratisches Konstrukt gesteckt. Keine der Aussagen ist geeignet, eine belastbare Zukunftsperspektive für uns zu entwickeln, wirklich spürbare Entlastungen bleiben komplett außen vor. Alle Maßnahmen sind so langfristig angelegt, dass bei ihrer Umsetzung mit ziemlicher Sicherheit jemand anderes seinen Kopf dafür herhalten wird müssen, wirkliche Verantwortung für das Leid der heute Betroffenen wird nicht übernommen. Die Erkenntnis, dass das heutige System uns nicht nur nicht hilft, sondern vielfach sogar massiv schadet, fehlt völlig. Die Einsicht, dass falsche Methoden und Denkweisen der Verantwortlichen maßgeblich an der durch Studienergebnisse belegten extrem niedrigen Lebensqualität beteiligt sind, ist nirgends zu finden. Es wird keinerlei Verantwortung für dieses Systemversagen übernommen, es wird noch nicht einmal erwähnt. Stattdessen wird mit Nebelkerzen in Form verletzlicher Minderheiten geblendet, so wie wir das derzeit überall in der Politik erleben.

Liebe Frau Warken, hier ein paar Tipps für sofort wirksame Maßnahmen:

  • verpflichtende Aufklärung für medizinisches Personal, insbesondere Hausärzte, Psychotherapeuten und Neurologen
  • sofortige Anpassungen der Richtlinien zur Begutachtung auf den aktuellen Forschungsstand
  • sofortige Freigabe von etablierten Off-Label-Präparaten zur Kostenübernahme durch die GKV
  • schnellstmögliche Anpassung von Reha-Leitlinien
  • Verbesserung der Abrechenbarkeit von ME/CFS-spezifischen Behandlungsformen durch Hausärzte (Telemedizin / Hausbesuche)

Diese Maßnahmen würden zeitnah zu einer Verbesserung unserer Situation beitragen. Sie würden dafür Sorgen, dass der tatsächliche Bedarf genau so wie mögliche Behandlungserfolge systematisch erfassbar würden. Sie würden helfen zu verhindern, dass Menschen mangels Behandlung ihre Arbeitsfähigkeit dauerhaft verlieren, und sie würden denen, bei denen es bereits zu spät ist Möglichkeiten eröffnen, ihren Zustand zu stabilisieren oder sogar zu verbessern. Solange diese wenigen Punkte nicht umgesetzt sind, macht Forschung aus meiner Sicht wenig Sinn, denn zunächst muss doch im System ME/CFS als Krankheit akzeptiert und Behandlung möglich gemacht werden.

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