Mitten in einem ohnehin schon heftigen Crash und bei tropischer Hitze meldet sich mitten in der Nacht ein Nierenstein als reif. Was ein Spaß…
Schmerzen in der Nacht
Mitten in der Nacht wecken mich heftigste Schmerzen. Im unteren Rücken verkrampft sich alles, der Schmerz strahlt aus in den Bauchraum und nach „weiter unten“ (keine Details!). Und er kommt in Wellen. Hurra, kennen wir schon: eine Nierenkolik. Zum ersten Mal hatte ich das zweifelhafte Vergnügen vor 3 Jahren: ein Nierenstein macht sich auf den Weg nach draußen. Ich habe dazu eine familiäre Veranlagung über Generationen hinweg, und schon damals sagte der Urologe: „einmal Stein, immer Stein“. Jetzt gerade passt mir das aber gar nicht.
Die Mittelchen aus der Hausapotheke bringen nichts, und zu den Schmerzen (die mit jedem neuen Anlauf immer stärker werden) gesellt sich Übelkeit. Es braucht also jetzt eine Lösung. Die 116 117 vom ärztlichen Bereitschaftsdienst versagt mal wieder auf ganzer Linie. Der Telefon-Computer wirft mich mehrmals ab, und als ich endlich nach 10 Minuten einen echten Menschen an der Strippe habe, ist der nicht hilfreich. Die Frage, welches Krankenhaus in der Nähe denn geeignet wäre (und die ist wichtig, weil hier eins nach dem anderen diverse Abteilungen schließt oder einfach ganz dicht macht), wird nicht beantwortet. Und auf die Frage, ob ich mich besser fahren lasse oder einen Rettungswagen rufen soll, wird mit „das müssen sie selber entscheiden“ abgetan. Klar, mit schlimmsten Schmerzen mitten in der Nacht ist man ja auch maximal entscheidungsfähig…
Wir rufen einen Rettungswagen. Während des Notrufes erbitte ich mir 5 Minuten extra Zeit, um wenigstens noch schnell unter die Dusche springen zu können (es hat kurz nach Mitternacht noch immer 26 Grad und ich möchte ein bisschen Würde bewahren solange ich noch aufrecht stehen kann). Ganze 12 Minuten später sammelt man mich ein. Super freundlich, rücksichtsvoll und mit genau der richtigen Art Humor für diese Situation. Wenige Minuten später (und keines der vielen Schlaglöcher hier auf dem Land auslassend) gibt man mich im Mayener Krankenhaus ab.
Notaufnahme
Alles geht zügig, aber gleichzeitig ruhig vonstatten. Mir kommt das sehr entgegen. Die aufnehmende Ärztin hat immerhin schonmal von ME gehört, nimmt das als Vorerkrankung mit auf und notiert penibel die aktuelle Medikation und eventuelle Einschränkungen. Ein Ultraschall zeigt zwei gesunde Nieren, also gibt’s zumindest keine Komplikationen. Nur der Stein muss halt den schmerzhaften Weg aller Steine gehen. Nach der Blutabnahme gibt es starke Schmerzmittel per Infusion. Und in dem Augenblick in dem ich dachte, das Zeug wirkt, überrollt mich die bisher heftigste Kolik und treibt mir Tränen in die Augen.
Gegen 2 Uhr ist die Infusion komplett drin, und ich ein wenig drauf. Ich soll noch eine Urinprobe abgeben. Gesagt, getan, erlöst: im Becher gondelt die Ursache allen Übels, der Stein ist raus. Hurra. Gegen meinen inneren Protest stimme ich zu, den kümmerlichen Rest der Nacht auf Station zu verbringen. Nur für den Fall, dass doch noch was passiert.
Station
Aus Rücksicht auf meine ME packt man mich nicht auf die Urologie, sondern auf die Orthopädie. Dort ist es gerade etwas ruhiger. Ein Einzelzimmer gibt es nicht, aber immerhin ein Doppelzimmer mit ruhigem Mit-Insassen und nicht wie beim letzten Aufenthalt ein Dreibettzimmer mit schwerhörigen und dementen alten Herren.
Der Rest der Nacht ist unruhig. Aufgrund der Temperaturen stehen alle Fenster und Türen weit auf, Klimatisierung ist im Gesundheits- und Pflegewesen nicht vorgesehen. Und so ist es brüllend heiß. und sehr laut, denn auf dem Flur läuft der Krankenhaus-Alltag. Im Eifer des Gefechtes haben wir natürlich nicht an Gehörschutz gedacht, und im Krankenhaus gibt es den nur am Kiosk. Der öffnet erst um 9 Uhr.
Stress pur
Mitten im Crash und nach einer durchwachten Nacht habe ich keine Chance, der Situation zu entkommen. Die Geräuschkulisse und das ständige Rein und Raus auf dem Zimmer saugen spürbar das letzte bisschen Energie. Die Schmerzen im Nierenbereich sind auch ohne Schmerzmittel komplett weg, zumindest scheint dieses Thema erledigt. Dafür machen sich die ME-bedingten Schmerzen nun mehr als deutlich bemerkbar. Gegen die hilft bekanntermaßen nur totale Abschottung, und das ist hier unmöglich.
Auf Nachfrage erfahre ich, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit nach der Visite das Krankenhaus werde verlassen können. Ein Lichtblick, denn zuhause kann ich dann versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Wann ich denn mit der Visite rechnen kann, erfahre ich aber nicht. Das macht jeden Versuch von Pacing unmöglich, ganz zu schweigen von der Organisation des Nach-Hause-Kommens an sich. Ich versuche (völlig bescheuert) zu verbergen, dass es mir zunehmend schlechter geht. Denn ich weiss, dass ich mir dabei nur selber werde helfen können.
Ein Frühstück bekomme ich nicht. Noch nicht mal eine Tasse Kaffee, denn vor der Visite weiss niemand, ob ich nüchtern bleiben muss. Auch gibt es meine Medikamente nicht in der Krankenhaus-Apotheke. Und so verschlechtert sich der gesamte ME-Mumpitz rasant weiter.
Um halb neun erscheint endlich der Ärzte-Tross und bestätigt, dass hinsichtlich Koliken und Stein wohl alles erledigt ist. Man möchte abschließend noch einmal einen Ultraschall machen, nur um sicherzugehen. Ich solle um neun Uhr in der entsprechenden Abteilung vorstellig werden. Als ich im Schwesternzimmer nach dem Weg fragen möchte, ist gerade Pause. Also mache ich mich kraftlos und wackelig selber auf die Suche und frage mich durch. Das Hirn will nicht mehr so recht, und so wird das zu einer echten Herausforderung und das Krankenhaus zum Labyrinth.
Endlich angekommen und völlig erschöpft ist natürlich der untersuchende Arzt nicht da. Und als er sich endlich telefonisch angekündigt hat, wird um Punkt Neun der 9:15-Privatpatient vorgezogen. Gegen 9:45 bin ich dann endlich dran, vom langen Sitzen auf dem lauten Flur mittlerweile völlig im Eimer. Es ist alles in Ordnung, ich könne nach Hause sobald der Bericht geschrieben ist. Wie lange das dauern wird, wo ich ihn bekomme, alles bleibt offen. Ich schleppe mich zurück auf die Station.
Und hier heisst es wieder warten. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und springe über meinen Schatten: ich werde nervig und frage nach, wann denn der Zugang aus dem Arm kommt, wann ich den Entlassbrief bekomme und ob man mir den nicht einfach auch schicken könne (oder eben einfach die elektronische Patientenakte dafür nutzt, dafür ist sie ja da). Eine extrem kräftezehrende halbe Stunde später komme ich endlich raus.
Es besteht noch deutlich Verbesserungspotential
Ich bin ja schon froh, dass man im Krankenhaus die Diagnose ME/CFS kannte und auch richtig einordnete. Aber offenbar ist man sich im Krankenhaus noch nicht so wirklich im Klaren darüber, wie man damit umgehen soll. Als Betroffener möchte ich ja nicht die Extrawurst sein, aber es würde uns Patienten doch helfen, wenn zumindest ein bisschen Rücksicht auf die krankheitsbedingten Bedürfnisse genommen würde. Der „normale“ Krankenhausablauf hat deutlich Potential uns immens zu schaden, und ich kämpfe noch jetzt – zwei Tage danach – mit den Nachwirkungen. Nicht mit denen der eigentlichen Behandlung, sondern mit denen des Aufenthaltes an sich.
Und ich mache daraus dem Personal keinen Vorwurf, denn die tun was immer sie können. Nur mit Blick auf ME wissen sie es einfach nicht besser, es fehlt an Information. Die kann ich aber als Notfall-Patient, der gerade sehr damit beschäftigt ist nicht unterzugehen, schlicht nicht leisten. Hier ist – mal wieder – die Politik gefragt. Und ich habe absolut kein Verständnis dafür, warum nach all den vollmundigen Versprechen der letzten Jahre bis heute noch nicht einmal eine Info-Broschüre für medizinisches Personal existiert.
Was helfen würde, indem man ohne großen finanziellen Aufwand im Gesundheitssystem einfach ein paar Abläufe besser organisiert:
- im Rahmen der Möglichkeiten für eine reizarme Umgebung sorgen
Das muss kein Einzelzimmer sein, aber das Zimmer direkt am Stationszimmer oder neben dem Aufzug ist eher ungeeignet - Störungen auf dem Zimmer auf das Nötigste reduzieren und eben nicht lautstark durch den Raum zu poltern
nötige Besuche auf dem Zimmer könnten auch miteinander verknüpft werden, z. B. Medikamentengabe und Blutdruckmessen in einem Rutsch - planbare Abläufe deutlich kommunizieren und vielleicht sogar aufschreiben
Es ist für uns wichtig zu wissen, was wann passiert. Nur so können wir auch im Krankenhaus zumindest ansatzweise unseren Energie-Einsatz koordinieren und so etwas wie Pacing umsetzen - Patienten nicht allein durch das Haus schicken
Auch wenn wir – äußerlich betrachtet – zwei gesunde Beine haben, ist jeder Gang eine Herausforderung. Und neue Wege in unbekannter Umgebung sind für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen zu schwer. - Wartezeiten vermeiden und auch die Wartebereiche so ruhig wie möglich gestalten
Im Zweifel wartet der Patient besser auf dem Zimmer als auf dem Flur - Visiten nicht mit einem ganzen Geschwader an Ärzten und Personal durchführen
Ja, das Krankenhaus ist ein Lehrkrankenhaus. Aber wenn 6 Ärzte gleichzeitig um den Patienten wuseln ist das schon für Nicht-ME-Patienten maximal einschüchternd. Das Durcheinander-Reden so vieler Ärzte macht es uns Betroffenen nahezu unmöglich, überhaupt folgen zu können - regelmäßige Mahlzeiten
ein gestörter Energiehaushalt erfordert auch zwingend einen Input. Wenn das nicht geht, weil der Patient nüchtern bleiben muss, dann muss er das zwingend rechtzeitig wissen, um sein Pacing daraufhin umzubauen - Den Aufenthalt als Ganzes so kurz wie nur irgendwie möglich gestalten
Wenn alles medizinisch nötige erledigt ist, dann kann der bürokratische Teil auch erledigt werden wenn sich der Patient zuhause erholt. - Entlassungen so früh wie möglich am Tag
Das Krankenhaus stellt keine Rezepte aus, also muss der Patient im Anschluss noch zum Hausarzt und in die Apotheke. Wird man erst entlassen wenn dort die Sprechzeiten vorbei sind, bedeutet das eine vermeidbare und maximal belastende Zusatzanstrengung
Klar, all das ist auch für Nicht-Patienten wünschenswert. Aber für die sind die Probleme in aller Regel nur ärgerlich. Für uns bedeuten sie eine echte Gefährdung. Und im Gegensatz zum „Normal-Patienten“ können wir uns den „Luxus“ nicht über eine Zusatzversicherung erkaufen – die nehmen uns nämlich nicht mehr auf.
Bevor die Politik also weiter irgendwelche mega-komplexen strukturellen Änderungen angeht (und ehrlicherweise glaube ich nicht, dass sie das tun wird), sollte sie das medizinische Personal und die Verwaltungen der Krankenhäuser ganz einfach mal informieren. Der Aufwand hierfür ist maximal überschaubar, und die Umsetzung vor Ort wirklich kein Hexenwerk.
Hallo Christian, ich finde Deinen Blog klasse. Alles habe ich noch nicht gelesen, aber Deine Berichte vom Krankenhaus und vom Gutachtertermin. Es ist erschütternd zu lesen, wie man mit einem schwer kranken Menschen umgeht. Meine Freundin ist auch schwer an ME/CFS erkrankt. Seit März hat sie Pflegestufe 3. Ich hatte den Antrag gestellt, ein umfangreiches Pflegetagebuch geschrieben und war auch bei der Begutachtung dabei. Meine Freundin lag im Bett ihres abgedunkelten Zimmers und ich bat die Gutachterin in die Küche zwecks Besprechung. Die Gutachterin des Medizinischen Dienstes hat die Situation vor Ort richtig eingeschätzt und nach 4 Tagen war bereits das Pflegegeld auf dem Konto.
Ich kann jedem nur empfehlen, sich gut auf den Termin des MD vorzubereiten. Im Internet gibt sehr viele hervorragende Videos hierzu. Die Begutachtung durch die Rentenversicherung ist eine ganz andere Sache. Hier haben ME/CFS Patienten von vorne rein schlechte Karten. Das ist ein Skandal, in meinen Augen ein Verbrechen.
Lieber Andreas,
Danke für’s Lob! Irgendwie entsteht ja der Eindruck, dass an allen Ecken im Gesundheitssystem versucht wird, Patienten mit ME/CFS „rauszuekeln“. Pflegestufe verkneife ich mir deshalb so lange, wie ich zwischen den Crashs noch aufstehen kann.